Ausufernde Sondersendungen

Der Abend beginnt mittlerweile bei den beitragsgestützten Fernsehsendern mit einer „Sondersendung“. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann die erste Programm-Zeitung das als festes Element im Programm ausweist.

Hinweis: Dieser Beitrag basiert in Teilen auf einem Beitrag aus dem privaten Blog des Autors.

Egal welcher Kanal, überall die gleichen Bilder und Spekulationen. Was hilft es den Hinterbliebenen, ob es ein bescheuerter „Islamist“ oder eben nur ein Spinner war? Der Täter von München hat 9 Menschen umgebracht. Unfassbar, für die Angehörigen unvorstellbar. Ein im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ausgestrahlter Schwenk über mit weißem Leinen abgedeckte Leichen verbietet sich.

Vor allem, wenn die Tasche darauf oder ein Schuh davor Rückschlüsse auf die Identität erlaubt. Niemand sollte beiläufig aus dem Fernsehen erfahren, dass da ein geliebter Mensch liegen könnte. Ein grober Verstoß gegen Persönlichkeitsrechte und rücksichtslos. Ebenso wie Bilder von fliehenden Passanten mit der blanken Angst im Gesicht. Das ist schamlos und ungehörig. So etwas gehört nicht als „Live-Stream“ in das öffentlich-rechtliche Abendprogramm.

Es wird spekuliert, es werden „Experten“ befragt. Die weder dabei waren noch mehr wissen. Nur mit der von wem auch immer festgelegten Aura des vermeintlich besser Wissenden ebenfalls spekulieren. Oder Worthülsen produzieren. Während im Hintergrund die Presseinformation der Polizei stattfindet, erzählt ein Journalist in der ARD, was er zu wissen glaubt. Die belastbare und vor allem entemotionalisierte Information der Polizei verpasst er.

Die privaten Sender waren professioneller. Da wurden kompakte Infos geliefert, aber gleichzeitig eine gewisse Normalität gewahrt. Keine Dauer-Panik-Sendung. Ersatzprogramm in der Werbepause. Das mag unangemessen erscheinen. Es ist aber angemessener, als die ständige Wiederholung von Spekulationen mit dem Hinweis, dass man eigentlich nichts Genaues weiß.

Wer „nichts Genaues weiß“, sollte die Klappe halten. Wiederholen von Annahmen oder Befragung von Leuten, die auch nicht dabei waren, macht die belastbare Informationsmenge nicht größer. Die Präsentation von Augen- oder Ohrenzeugen ist kurz nach so einer Schreckenstat ebenfalls mehr als fragwürdig. Aus subjektiven Eindrücken werden kollektive. Durch falsches Zusammensetzen aus einem Verrückten bis zu drei, die wild um sich schießend alles wegmetzeln.

Interviews werden zur Nebensache, wenn in einem größeren Bildausschnitt martialisch eingerüstete SEK-Beamte im Laufschritt irgendwohin laufen. Das hat nichts mit „Qualitäts­journalismus“ zu tun, für den sich die zwangs­finanzierten Staatssender gern rühmen. Das ist beitragsfinanzierte Sensationsgeilheit und Betroffenheits-Journalismus.

So verlockend die sofortige Präsenz von mit Smartphones von Zufalls­augen­zeugen gedrehten Tatvideos ist. Es macht die Arbeit der Polizei nicht einfacher, wiederholt dumme Fragen ebenfalls nicht. Wie oft der sehr eloquente Polizei-Sprecher „wie schon gesagt“ wiederholen musste, ist ungezählt. Weil Journalisten wiederholt tendenziöse Fragen stellten, ohne den Antworten zu lauschen.

Statt der gebotenen objektiven Distanz wird mittels mehr oder minder intelligenter Fragen eine Wahrheit gesucht, die für jeden logisch denkenden Menschen noch im Nebel liegt. Was einem ausgebildetem Journalisten klar sein sollte:

  • Woher soll ein Sprecher etwas von dem wissen, das gerade passiert, wenn er selbst nicht dabei ist? Sondern tumbe Fragen beantworten muss?

Es geht nicht um recherchierte, belastbare Information. Schon gar nicht um logisches Vorgehen. Es geht um das „Erster sein wollen“. Egal wie belastbar oder unhaltbar die Information ist. Ist in 10 Minuten sowieso egal. Dann gibt es eine „neue Wahrheit“. Neue Nachrichten für die nächste Sondersendung.

Wie viel darf „Tratsch und Klatsch“ zwangsweise kosten?

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