Zweitverwertung als Chance

Im Internet-Zeitalter scheint Geschwindigkeit bei den Medien das Maß der Dinge. Wenn schon nicht live, dann doch wenigstens der Erste. Bei Informationsmedien werden Webseiten im Minutentakt aktualisiert — wobei nur eine Beschreibung, eventuell noch eine subjektive Einschätzung geliefert wird. Recherche, Bewertung der Relevanz und Verifikation bleibt auf der Strecke.

Was für ein Aufreger, dass die öffentlich-rechtlichen Sender keine Live-Übertragung des Damenfinales aus Wimbeldon hinbekommen. Eventuell waren sie zu geizig, oder Sky zu gierig, oder beide zu borniert für einen lukrativen Win-Win-Deal, jedenfalls scheiterte der spontane Versuch des Ankaufs von Live-Material. „Die Nation“ war ausgesperrt, Sky präsentierte das Ereignis einem exklusiven Kreis. Mutmaßlich noch exklusiver, als es das Sky-Programm ohnehin schon ist. Das Sky-Abo allein macht noch keinen Tennis-Fan. Ob „die Nation“ wirklich Schaden genommen hat, dass die Ereignisse auf dem als „heilig“ proklamierten Rasen nur via Meldungen im Radio und erst abends als umfassende Zusammenfassung im Samstagssportblock gezeigt wurde, darf zumindest angezweifelt werden. Für den ergebnisorientierten Konsumenten war selbst die schon langatmig, denn sooo interessant ist das hin und her Gekloppe von einem befilzten Gummiball für die Masse mutmaßlich nicht. Sonst wäre Tennis ein Breitensport und das eingangs geschilderte Dilemma nicht eingetreten.

Die Zusammenfassung bot jedoch als maßgeblichen Vorteil gegenüber den dahinschwadronierten Kommentaren diverser „Fast-Live“-Berichte bei Focus, Welt & Co., dass Fakten präsentiert wurden. Qualifiziert redaktionell zusammengestellt. Für Fußball-Muffel ist diese Express-Berichterstattung mit den wesentlichen Bildern ebenfalls eine adäquate Variante für effiziente Information. So manches Fußballspiel suggeriert auf diesem Weg einen Reiz, den es in Echtzeit nicht ansatzweise versprühte. Der Spannungskick für den Fanblock lässt sich ebensogut via Radio aufbauen. Es gibt sogar Puristen, die sitzen vor dem Bildschirmtext und sind zum zerreißen gespannt, ob und wo die Spielstandanzeige gleich umspringt. Die Spannung — vom Stadionbesuch aufgrund der Atmosphäre dort abgesehen — entsteht im Kopf. Öde Fernsehbilder und tranige Kommentatoren sind da häufig Abtörner.

Für die Informationspflicht, in der sich die öffentlich-rechtlichen Anstalten gerne sehen und mit der u.a. der Rundfunkbeitrag gerechtfertigt wird, wären diese Zusammenfassungen ein erheblich probateres Mittel, als Live-Übertragungen einiger weniger Sportereignisse. Einerseits wäre es signifikant preiswerter. Andererseits könnte in der selben Zeit über diverse statt nur einer Sportart berichtet werden. Was dem Informationsauftrag objektiv gesehen erheblich näher käme. Darüber hinaus böte das die Chance auf allgemein höhere Objektivität der Berichte. Denn die Massentauglichkeit als Maßstab für Relevanz ist ein fragwürdiger Maßstab. Insbesondere, da das hinreichend von anderen bedient wird. Die öffentlich-rechtlichen sollten sich davon verabschieden, die bessere Bildzeitung sein zu wollen. Der Gegenentwurf, das Schaffen von Alternativen, so muss der Auftrag in der geänderten Medienlandschaft erfüllt werden.

Für diesen Job ist Geschwindigkeit nicht das erste Gebot. Denn die geht zu Lasten der Qualität und dem Gehalt der Information. Bei den ARD- bzw. ZDF-Sondersendungen zur Flut vor einigen Wochen kannte man schon die Namen der Befragten auswendig, weil die selben Interviews als Dauerschleife das Fehlen aktuelleren Materials kompensieren mussten. Wiederholung ist kein Qualitätsmerkmal. Gut recherchierte Berichte, angereichert mit abgesicherter Information, dagegen schon. Das kostet Zeit, trifft jedoch im Ergebnis die Erwartungen, die viele an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk haben: verlässliche und journalistisch objektive Information, statt Boulevard und Marktschreierei. Das konsequente Setzen auf die Zweitverwertung könnte dafür ein maßgebliches Qualitätsmerkmal sein. Der Rundfunkbeitrag könnte für die allgemeine Aufgabenstellung besser verwertet werden und würden nicht wenigen Spitzensportlern und -vereinen über die teuren Übertragungsrechten die Jahresgehälter mitfinanzieren und die Zwangswerbung (neudeutsch: „Sponsoring“, weil verbindlicher Vertragsbestandteil auch nach 20 Uhr möglich) wären wir ebenfalls los. Vor allem müsste der Rundfunkbeitrag dann locker für den — dadurch sogar besser erfüllten — Auftrag reichen.

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